Es war einmal eine Prinzessin, die lebte in einem großen Schloss, gemeinsam mit ihrem alten Vater, dem König. Die Mutter war ein paar Jahre nach der Geburt der Prinzessin gestorben, so dass das Mädchen sich nicht einmal mehr an sie erinnerte. Alles was sie von ihrer Mutter noch besaß war ein goldenes Amulett mit dem Wappen des Königshauses und das große Gemälde, das ein wandernder Künstler viele Jahre vor der Geburt der Prinzessin von ihr angefertigt hatte. Ihre Mutter war wunderschön gewesen. Der König, der seit dem Tode der geliebten Frau die schwarzen Gewänder der Trauer trug, las seinem Kinde jeden Wunsch von den Lippen ab und hütete sie wie seinen Augapfel. Die Dienerschaft hätte, wenn sie gedurft hätte, ein Lied von dieser verzogenen Göre singen können. So aber ertrugen sie die herumkommandierende Prinzessin und warteten auf den Tag an dem sie heiraten und zu ihrem Gemahl auf ein anderes Schloss ziehen würde. Und dieser Tag rückte in immer greifbarere Nähe. An ihrem 18 Geburtstag sollte ein großer Festball gegeben werden zu dem alle Edelmänner des Landes und noch weit über die Grenzen hinaus eingeladen wurden, damit die Prinzessin anschließend bei einem noch größeren Festball mit demjenigen vermählt werden sollte, der ihr am besten gefiel. Für ein solches Fest war es üblich, sich ein neues Kleid schneidern zu lassen und das ließ sich die Prinzessin nicht zweimal sagen. Da aber der Weg zwischen Stadt und Schloss durch einen tiefen dunklen Wald führte und der Schneider mit all seinen zur Auswahl stehenden Stoffen und Werkzeugen unmöglich durch diesen Wald reisen konnte, musste die Prinzessin in den sauren Apfel beissen und sich, selbstverständlich in einer großen Kutsche und mit den drei besten Leibwächtern ihres Vaters, selbst auf den Weg zu dem besagten Schneider machen. Unterwegs hielt der Kutscher plötzlich an und zeternd schickte die Prinzessin die Leibwächter zu ihm, um zu fragen warum um alles in der Welt angehalten wurde bevor das Ziel erreicht war und noch dazu in so einem ungemütlichen unheimlichen Wald. Als die Männer zurückkamen berichteten sie, dass der Kutscher, weil er seit etlichen Jahren nicht mehr durch diesen Wald gefahren war, den Weg nicht mehr wusste und dass der Weg vorne nun zu schmal sei um hindurch zu fahren. Rückwärts ginge es aber auch nicht, weil die Pferde dies verweigerten. Die einzige Möglichkeit noch vor der Dunkelheit aus diesem Wald herauszukommen bestünde darin zu Fuß zu gehen.
Laut fluchend und unter Androhung schlimmster Strafen fügte sich die Prinzessin schließlich den gegebenen Umständen.
So liefen sie eine Weile durch den Wald und die Prinzessin bewunderte, obwohl sie es nicht zugeben mochte, das trotz der Dunkelheit wunderschöne Grün des Waldes. Die Leibwächter und der Kutscher waren ein Stück voraus, erstens, weil sie sich das Gezeter des Mädchens nicht anhören mochten und zweitens, weil sie in ihren Schuhen und mit ihren feinen Prinzessinenfüßen nicht recht laufen konnte. So kam es, dass die Männer nicht bemerkten, wie das Mädchen vom Wege abkam und einem sonderbaren Licht auf eine kleine Lichtung folgte. Mutterseelenallein und ein wenig verdreckt stand sie nun dort und bewunderte das funkelnde Licht, das über einem niedrigen Hügel schwebte. Vor dem Hügel war ein kleiner Teich auf dem Seerosen blühten und sie kniete nieder um ein wenig von dem klaren Wasser zu kosten, denn sie hatte furchtbaren Durst. Doch erschrocken fuhr sie wieder hoch und starrte entsetzt auf das Wasser. Dort wo sich eigentlich das funkelnde Licht hätte spiegeln sollen, sah sie das Antlitz ihrer Mutter, beinahe so wie sie es von dem Gemälde her kannte. Und dann sprach eine Stimme zu ihr die sie obwohl sie gedacht hatte sich nicht an sie zu erinnern, sofort erkannte. Es war die Stimme ihrer Mutter die da auf dieser kleinen Waldlichtung zu ihr sprach:“ Fürchte dich nicht mein Kind, ich habe dich erwartet. Vor meinem Tode, damals als unser Königreich noch von einem jungen König voller Lebenskraft regiert wurde, als dieser Wald noch nicht so finster und gefährlich war wie heute, da dein Vater vor lauter Trauer all seine Pflichten vergessen hat, damals kam ich oft hierher um die Ruhe und den Frieden dieser Lichtung zu genießen. Und deshalb bin nach meinem Dahinscheiden wieder hierher zurückgekehrt, weil ich wusste auch du würdest eines Tages hierher finden. An diesem Ort wirst du die Reife erlangen, die dein Vater dir in seiner maßlosen Trauer verwehrte. Sieh in das Wasser mein Kind, dort wirst du sehen wie du dein Leben in der Vergangenheit gelebt hast, außerdem wirst du sehen wie andere dich in dieser Zeit wahrgenommen haben. Danach kannst du entscheiden in was für eine Zukunft du dich begibst wenn du mit deinem Gatten in sein Schloss einziehst. Lebe wohl mein Kind, ich weiß du wirst die richtige Entscheidung treffen.“
Nachdem die Stimme der Mutter zuende gesprochen hatte und das sonderbare Leuchten verschwunden war, stand die Prinzessin noch eine lange Zeit wie versteinert da. Dann aber kniete sie sich erneut an das Ufer und blickte in das Wasser das plötzlich viel tiefer schien als zuvor. Bilder tauchten aus der Tiefe auf und dann sah die Prinzessin sich, wie sie vor 10 Jahren ausgesehen hatte. Schon damals war sie bildhübsch gewesen, aber was war das? Sie trug die Nase so hoch, dass sie gegen einen großen alten Baum lief der dort auf dem Rasen stand. Die Kinder der Dienerschaft mit denen sie damals noch manchmal gespielt hatte, lachten fürchterlich. In der nächsten Szene kamen Männer mit Äxten und fällten den Baum.
Die nächsten Bilder zeigten sie, wie sie mit dem dicklichen Sohn des Kochs im Thronsaal fangen spielte und einen wertvollen gläsernen Krug zerbrach. Als nächstes sah sie wie der Junge dafür bestraft wurde, während sie mit einem fiesen Lächeln auf den Lippen an der Seite ihres Vaters stand und zusah.
Im nächsten Augenblick saß sie in ihren Gemächern und spielte mit ihren Juwelen, Ketten, Ringen und Krönchen und von draußen hörte man Kinderstimmen die sagten:“ Die Prinzessin spielt ja gar nicht mehr mit uns“ und „ Nein sie ist doch etwas besseres und spielt lieber mit Metall als mit dem gemeinen Volk.“
Der Prinzessin liefen dicke Tränen die königlichen Wangen hinunter und fielen direkt in das Wasser des kleinen Teiches. Das Wasser kräuselte sich ein wenig und als es sich beruhigt hatte sah die Prinzessin ihre Kammerzofe wie sie mit sichtlicher Anstrengung ihre Gemächer reinigte, als sie selbst hineinstürzte, wie ein Rohrspatz schimpfte warum es denn nicht schneller ginge und wütend, die Tür hinter sich zuknallend den Raum verließ. Die Zofe sah sie noch einen Moment lang weinend auf dem geschrubbten Fußboden sitzen.
Wieder ein Wechsel der Bilder. Dieses Mal sah die Prinzessin wie sie die Zofe herumkommandierte ohne selbst auch nur einen Finger krumm zu machen. In diesem Augenblick wurde ihr zum ersten Mal bewusst wie wenig sie in ihrem Leben bisher selbst gemacht hatte.
Die Bilder wurden nun dunkler und sie sah sich in ihrem Himmelbett liegen, wach obwohl es Nacht war und mit einem unglaublich traurigen Ausdruck in den Augen, trotzdem ein selbstzufriedenes Lächeln auf den Lippen.
Die Bilder verblassten immer mehr, bis schließlich nur der Teich mit seinen Seerosen zu sehen war. Die Prinzessin saß dort und weinte bitterlich. Wie konnte es nur geschehen, dass sie zu solch einem Menschen geworden war und es ihr noch nicht einmal aufgefallen war. Sie hatte keine Freunde gehabt, sie hatte sich nie die Mühe gemacht die Menschen als Menschen wahrzunehmen, immer waren alle nur aus dem Grunde da, um sie zu beschäftigen, ihr zu gefallen, und zu funktionieren. Die Bilder hatten ihr zum ersten Mal gezeigt was sie den Menschen die sie umgaben angetan hatte. Was hatte ihre Mutter noch gesagt? „Danach kannst du entscheiden in was für eine Zukunft du dich begibst, wenn du mit deinem Gatten in sein Schloss einziehst.“ Jetzt erst verstand sie was die Mutter gemeint hatte und sie war sicher: Ab heute wurde sie ein neues Leben beginnen. Und die bevorstehende Hochzeit war eine große Chance für einen Neuanfang.
Jetzt musste sie aber zunächst aus diesem finsteren Wald herausfinden. Schon wollte sie nach den Leibwächtern rufen, die doch auf sie aufzupassen hatten, aber im letzten Moment entschied sie sich anders. Das konnte sie auch ganz allein schaffen. Und tatsächlich, gar nicht weit von der Lichtung entfernt war der Wald bereits zuende, dort saßen der Kutscher und die drei Leibwächter und berieten gerade was zu tun sei falls die Prinzessin nicht wieder auftauchte. Die Freude sie wieder zu sehen hielt sich allerdings in Grenzen, da sie eine gehörige Standpauke erwarteten, doch diese blieb aus. Stattdessen entschuldigte sich die Prinzessin für ihre Verspätung und bat darum ihrem Vater nichts davon zu erzählen. Etwas irritiert blickten die Männer sich an, zuckten dann aber mit den Schultern und setzten den Weg zum Schneider fort. ...
Es wurde ein wunderschönes Fest und die Prinzessin tanzte den ganzen Abend mit einem Prinzen aus dem benachbarten Königreich. Mit ihm, da war sie sich ganz sicher, würde es sich gut leben lassen, denn er war ein Mann der Tat, der wenig Diener im Schloss hatte und lieber selbst mit anpackte. So wurde zwei Wochen später ein rauschendes Fest gefeiert und alle Diener und vor allem der König wunderten sich über den neuen Glanz der die Prinzessin umgab und über ihr sonderbares Betragen wunderte man sich auch. Aber da es eine angenehme Veränderung war, die die Prinzessin ergriffen hatte, zog man es vor sich nicht danach zu erkundigen, sondern lächelte nur stumm. Die Prinzessin und ihr Prinz zogen auf sein Schloss und wenn sie nicht gestorben sind dann leben sie noch heute...